Eine kurze Geschichte zu Chasmers Bild Giger Factory 23.
Michelle hatte keine Wahl. Sie war 22, bildschön, ledig, gut ausgebildete Chemieingenieurin und sie hatte einen Hirntumor. Zwei Therapien waren erfolglos, die dritte zahlte ihre Krankenkasse nicht. So war sie schnell bereit, auf das Angebot von Giger Industries einzugehen, das da lautete: „Sklavinnen gesucht. Tun Sie drei Jahre alles für uns und wir tun alles für Sie.“ Michelle wusste, dass sie keine drei Jahre mehr hatte, nicht einmal mehr drei Monate und sie hatte gehört, dass man bei Giger Industries ein paar medizinische Möglichkeiten am Rande der Legalität hatte, die niemand sonst hatte. Wenn man Interesse an ihr hatte, müsste man folglich ihr Leben verlängern.
Auf ihre lange Mail mit Befunden und Fragen, wie man ihr helfen könnte und was sie zu tun hätte, kam nur eine kurze Antwort: „Sklavinnen fragen nicht. Sklavinnen legen ihr Wohlbefinden und ihr Überleben in die Hände von Giger Industries und haben Vertrauen. Wenn Du bereit bist, komm am Donnerstag!“ Keine Zeit, kein Ort. Nur ein Tag und die stumme Ahnung, dass das Angebot am Freitag nicht mehr gelten könnte.
Also stand Michelle schon um Mitternacht des Donnerstags vor dem Besuchereingang der geheimnisvollen Fabrik. Es war erstaunlich voll, so als ob es Karten für ein Popkonzert oder das erste iPhone 27 mit dem implantierbaren Headphone gäbe, das das Telefonieren und Bingen (googeln war seit 2030 out) ohne Mundbewegungen ermöglichte. Die meisten Frauen waren nicht allein – es waren Männer dabei, die Freunde, Dominante oder Zuhälter waren – wer wusste das schon. Einige Frauen waren etwas älter. Dann öffnete sich eine Personenschleuse aus leicht dunklem, aber immer noch durchsichtigen Glas. Kein Mensch war zu sehen. An der Wand waren einige der Figuren befestigt, wie sie H.R. Giger vor 70 Jahren in schwarz erdacht hatte. Die Gestalten waren menschenähnlich, aber immer unvollständig. Sie endeten am Brustkorb oder am Becken, waren mit dem Rücken in der Wand verankert oder bestanden einfach aus einem Kopf. Ein Kopf war so groß wie ein Wasserball, andere Köpfe kleiner als eine Apfelsine. Ihre Extremitäten waren zwei-, drei- oder sechsfingrig oder es waren Tentakel mit Saugnäpfen oder Werkzeugen. Die Vielfalt war beeindruckend und verstörend. Aber immer, wenn wieder eine Gruppe Menschen in die Schleuse kam, kommunizierten die Figuren mit den Neuankömmlingen.
Michelle sah verschiedenste Taktiken, wie man den Raum betreten konnte: Manchmal gingen ganze Gruppen aufrecht hinein, manchmal krochen Frauen auf den Knien über den glatten Fußboden. Ein Mann zerrte gleich drei als Katzen verkleidete Frauen an Halsketten in den Raum, die sich dann brav nebeneinander hinhockten. Einige Frauen zogen sich in der Schleuse nackt aus und knieten sich breitbeinig am Rücken gehaltenen Armen mitten in den Raum. Jemand erklärte ihr, dass dies die Sklavenposition Nr. 3 wäre und für eine Sklavin wichtiges Grundwissen. Es war Michelle erstaunlich egal. Sie würde nichts tun, was nicht verlangt war.
Kurze Zeit später öffnete sich eine Tür und alle Männer verließen die Schleuse – unverletzt, wie Michelle beruhigt feststellte. Etwas später folgten auch die meisten Frauen. Nur selten verschwand eine Frau nach hinten in der Fabrik. Michelle erkannte ein Muster: Alle Frauen, die nicht freiwillig in die Schleuse gingen, mussten gehen. Alle, die ängstlich oder unruhig aussahen oder gar weinten, mussten gehen. Und dann ging es wohl nach Schönheit. Michelle wusste instinktiv, warum einzelne Frauen zurückgewiesen wurden – zu dick, zu dünn, viel zu viele Piercings, ungepflegte Personen, je eine junge Frau mit aggressivem und eher blödem Gesichtsausdruck. Man war wählerisch. Und dann ging Michelle in den Raum – allein, weil das nach ihrer Meinung nach besser war.
Die Schleuse schloss sich und Michelle sah sich um. Mindestens 15 Gesichter schauten sie an, doch es fiel kein Wort. Nicht unbedingt am menschlichsten, aber am intelligentesten sah der übergroße Kopf ohne Körper aus, den sie schon von draußen gesehen hatte. Also schaute sie ich an, bis er redete. „Michelle“ sagte er und sie wusste, dass er wohlinformiert war und die Entscheidung über sie schon gefallen war. „Michelle“ wiederholte er: „Was willst Du?“ „Ich will leben.“ „Und was willst Du uns dafür anbieten?“ „Ich kann nur das Leben anbieten, was ich noch habe.“ Der Kopf schaute sie lange an und schwieg. Michelle war jetzt schon länger in dem Raum als jede Gruppe vor ihr. Aber da ihr Gegenüber schwieg, schwieg auch sie. Irgendwann begann er zu reden. „Du bist nicht und du wirst in deinem Herzen nie eine Sklavin sein. Aber du bist klug und kannst Dich wie eine Sexsklavin verhalten oder wie eine Wissenschaftlerin oder was immer wir hier benötigen. Ich kann Dir nicht versprechen, Dich zu heilen. Ich kann es versuchen und ich habe einen Plan. Du wirst eine Drohne, die tut, was wir verlangen – Wartungsarbeiten, Sex, Morde, Krankenschwester, Reinigung. Du wirst die klügste Drohne, die wir haben, denn ich erlaube Dir das Denken und ich erlaube Dir eine Meinung. Wenn Du stirbst, transferieren wir Dein Bewusstsein in eine Maschine. Wenn Du lebst, bist Du 3 Jahre Drohne. Bist Du einverstanden?“
Michelle hatte keine Wahl. Sie war 22, bildschön, ledig, gut ausgebildete Chemieingenieurin und sie hatte einen Hirntumor. Also antwortete sie laut und deutlich: „Ja, ich will.“
Der Kopf schaute sie kurz an und verzog seine Lippen zu einem Grinsen: „Hast Du Fragen oder hast Du Vertrauen?“ Michelle ahnte den Test und antwortete: „Keine Fragen.“ „Gut. Dann werde ich Dir sagen, was jetzt mit Dir passiert. Alle Deine Chemotherapie scheiterte daran, dass eher die Schleimhäute, die Leber und das Knochenmark vergiftet werden als dass dein Tumor etwas abbekommt. Also müssen wir Deinen Kopf vom Körper trennen. Wir haben werden Dich komplett in Latex verpacken – weil wir es mögen. Deine Kopfgefässe werden seitlich aus dem Kopf herausgeführt, an eine Herzlungenmaschine gehängt und bekommen Nahrung, Sauerstoff und Chemotherapie von uns, weil Du Heilung willst. Dein Körper bekommt andere Anschlüsse für Blutreinigung, weil sich immer etwas vermischt. Du bekommst Anschlüsse für Luft und Nahrung, Stuhlgang und Wasserlassen, weil wir das als Langzeitprojekt testen wollen. Und Du bekommst einen Kabelbaum mit Sensoren und Stimulatoren, Kitzlern und Elektroschockern, denn wir wollen unser Drohne kontrollieren und disziplinieren. Zehn Minuten kannst Du herumlaufen, dann musst Du wieder an die Maschinen. Du hast eine letzte Chance zur Entscheidung. Wenn Du denkst, dass Du das ertragen kannst, geh durch die hintere Tür. Ansonsten geh!“
Michelle ging durch die hintere Tür furchtlos in einen Nebel, der ihr die Sinne raubte. Als sie wieder aufwachte, stand sie vor einem Spiegel. Sie steckte komplett in einem dicken Anzug aus Neopren, der zwar einen Vorderrreißverschluss, aber keinen Zipper hatte. Auch ihr Kopf steckte in dem dicken Neopren, darüber befand sich eine harte Plastikschale mit vielen Anschlüssen. Sie bekam leicht Luft, obwohl sie nicht durch die Nase atmete und ihr Mund geschlossen war. Sie hatte wohl lange Zeit in Agonie verbracht, denn sie hatte schon wieder Haare, die in einer Lücke zwischen Hinterkopf und Hals hervorlugten. Sie fühlte sich zum ersten Mal seit Jahren satt und zufrieden. Ihr Gesicht war gesund und rund, auch ihre Brüste und ihre Taillen waren voll und nicht mehr vom Tumor ausgezehrt.
In ihrem Unterleib brummte etwas wohltuendes, ein leichter Schmerz von Elektroden kniff ihr Geschlecht. In ihrem Kopf sagte eine leise Stimme: „Bleib ruhig und tue nichts, Du hast Regenerationszeit!“ Da wusste sie: Ihre Heilung war beendet. Jetzt begann ihre Dienstzeit als Drohne der Giger Industrie. Sie empfand Dankbarkeit und würde alles tun, was von ihr verlangt wurde.